Das Ahrtal zählt zu den bedeutendsten Weinbaugebieten Deutschlands – berühmt für seinen Spätburgunder und mit seinen zahlreichen Weinwanderwegen auch als Urlaubsziel. Matthias Baltes steht der Winzergenossenschaft Mayschoss-Altenahr vor, der ältesten Winzergenossenschaft der Welt. Er investierte in beides: Wein und Tourismus. Jetzt ist alles anders – die kleine Ferienwohnung, die Matthias über Airbnb vermietete, bewohnten plötzlich Einheimische, die das Hochwasser obdachlos gemacht hatte. Wie sieht es fünf Wochen nach der Flut aus?

Lokaler Zusammenhalt
Der ungeheuren Naturgewalt, die über das Dorf eingebrochen ist, setzen die lokalen Winzer zweierlei entgegen: Zusammenhalt – und ihren Wein. Einige Flaschen der Jahrgänge 2019 & 2020 haben die Flut überlebt. Die Weinbauern nennen ihn ihren „schlimmsten Jahrgang“. Schmecken tut trotzdem – der Inhalt ist unversehrt. Qualitätsweine von regionalen Weinbauern werden aktuell über verschiedene Plattformen angeboten. Ab 90 Euro, die unmittelbar in den Wiederaufbau der zerstörten Weingüter fließen, erhalten Spender:innen etwa auf Flutwein.de ein Paket „Schlammwein“.

Der „schlimmste Jahrgang“ kommt ungeschönt schlammverschmiert daher. Schönheit und Schrecken liegen bei diesen Unikaten nah beieinander. Was außen wüst aussieht, ist im Inneren ungetrübt. Wenn man mit den Winzern Ahrtal spricht, denkt man: wie das Dorf und seine Bewohner.
Flaschen, die eine Flut überlebt haben
Vier Wochen nach der Flut ziehen die Winzer der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr die letzten Flaschen Flutwein aus dem Schlamm. Die etwa 500.000 Weinflaschen wurden in Kellern gelagert, ebenerdig mit dem Fluss. Als der am 14. Juli über seine Ufer tritt und die Keller flutet, steigen die Flaschen mit auf. Wo die Kellerwände dem Wasser standgehalten haben, sinken die Flaschen langsam wieder zu Boden, in den schützenden Schlamm der Ahr.
Andere Keller werden von der Flut so schwer getroffen, dass die Wände nachgeben – die Flaschen zahlreicher Winzer werden von der Strömung mitgerissen. Nicht anders die Geräte, die die Winzer zur Verarbeitung ihrer Weine dringend brauchen: Einige sind – buchstäblich – gen Bodensee weggetrieben.

Damit werden sich die Weinbauern an der Ahr sich jetzt, vier Wochen nach dem Hochwasser, auseinandersetzen. Zuletzt ging es für sie vor allem auch um eines: Die Rettung des neuen Jahrgangs. Der schlummerte zum Zeitpunkt der Flut bereits in vollen Trauben auf steilen Berghängen, die von der Flut überwiegend verschont geblieben sind. Die wertvollen Reben sind nicht versichert, wenn die Ernte mangels Pflege verkommt, fehlt 2022 das dringend benötigte Kapital für den Wiederaufbau. Von Tag Zwei an hieß es für die Ahrweiler Winzer daher „zack, zack“, erzählt Matthias. Das anfängliche „Troubleshooting“ an der Ahr wich einer immer besser koordinierten Teamarbeit.
Mitten in der Katastrophe muss gewachsenes Laub geschnitten und die Reben mit Pflanzenschutzmittel vor drohendem Pilzbefall bewahrt werden. Dabei kommen in der Ausnahmesituation ein Hubschrauber zum Einsatz, der sonst nur besonders steile Hänge anfliegen darf. Zahlreiche gelernte und ungelernte Hände aus der Umgebung und aus anderen Weinbaugebieten, etwa von der Mosel, unterstützen die Winzer an der Ahr. Ohne die geretteten Flaschen und mit einer zerstörten Ernte „hätten wir hier zu machen können“, sagt Matthias in der Rückschau. Denn: Ihre Mission, die Trauben rechtzeitig vor Erkrankungen zu retten, ist gelungen.

Eine neue Herausforderung
Das heißt: vorerst. Zahlreiche, offene Fragen gehen Matthias durch den Kopf. Denn der lokale Wein wird zwar auch überregional verkauft (Mayschoss verkauft ein duzend verschiedener Weine bei REWE, etwa einen Rosé Blanc de Noir Spätburgunder). Der Haupt-Absatzmarkt der Winzer ist jedoch die Region. Das Ahrtal lebt neben dem Weinbau vom Weintourismus. Jetzt sind selbst die Bahnschienen, die unter anderem nach Rech führten, zerstört, Pensionen geflutet, Ladenflächen nicht wiederzuerkennen. Der komplette Vertrieb muss umdirektioniert, der Handel über Supermärkte intensiviert und das Online-Geschäft ausgebaut werden.
Im Rahmen der Spendenakktion #SolidAHRität unterstützen Käufer etwa via www.dagernova.de den Wiederaufbau der Winzereibetriebe in der Region. Die Winzereigenossenschaft Mayschoss verkauft und verschickt – auf Anregung ihrer Stammkunden – ein eigenes Hochwasser Retterpaket. Und auch über andere, ortsansässige Weinläden wie das Ahrweindepot oder Dankos Weinladen lassen sich regionale Weine bequem nach Hause bestellen.

Jede Flasche, die hier gekauft wird, unterstützt jetzt den Wiederaufbau eines Gebiets, das von der Flut so schwer getroffen ist, dass seine Einwohner immer noch alles, was 15 Kilometer außerhalb der Region liegt, als die „normale Welt“ bezeichnen. Diese, von der Pandemie gezeichnete Welt, zu der sie ohne Jeeps und Helikopter zwischenzeitlich keinen Zugang hatten.
Achso: Was ist eigentlich mit Corona? In Rech wird die Bevölkerung in der Kirche geimpft. Darauf, Abstände einzuhalten, hat im Hochwasser, das so viel Zusammenhalt notwendig gemacht hat, zeitweise niemand mehr achten können. Jetzt, sagt Matthias, gilt es vorsichtig zu bleiben – denn weiterhin werden dringend alle Kräfte gebraucht. „Bis das Ahrtal wieder so wird wie es mal war – 2 Jahre“, seufzt Matthias. Wenn alles gut läuft. Zur verkaufsstarken Weihnachtszeit überlegen die Winzer, mit ihren Weinen selbst in die großen Städte zu kommen: Pop up-Stores könnten eine Möglichkeit sein. Wir freuen uns darauf!
