
Es brummt und rattert sanft, als Hanna Legleitner kräftig in die Pedale ihres candy-pinken Fahrrads tritt. Schneller, immer schneller drehen sich die Räder – und setzen so die Messer eines Mixers in Gang, der auf den Gepäckträger des Smoothi Bikes montiert ist.
Wenig später drückt uns Hanna einen Erdbeer-Minz-Shake in die Hand und wir genießen den Geschmack von Spätsommer. Das Besondere: Alle Zutaten wurden zuvor „gerettet“. Und klimafreundlich zubereitet.
18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen pro Jahr im Müll
Hanna ist Geschäftsleiterin des Vereins RESTLOS GLÜCKLICH. Zweimal pro Woche holt sie mit ihrem Team bei einem Bio-Supermarkt Lebensmittel ab, die aus dem Verkauf aussortiert wurden – und verarbeitet sie zu leckeren Gerichten und Getränken. Ihr Ziel? „Wir wollen etwas gegen Lebensmittelverschwendung unternehmen“, erklärt Hanna. „Und durch Bildungsarbeit und öffentlichkeitswirksame Aktionen möglichst viele Menschen erreichen. Denn Vielen ist das Problem überhaupt nicht bewusst.“

Rund 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen pro Jahr in Deutschland im Müll, fand eine Studie des WWF heraus. Die Verschwendung von Lebensmitteln zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette: Ist die Kartoffel zu klein, bleibt sie direkt auf dem Feld liegen. Wird der Apfel beim Transport beschädigt oder lässt der Salat im Supermarkt-Regal die Blätter hängen, werden sie ebenfalls aussortiert. Schließlich sind wir Perfektion gewohnt und nur die schönsten, knackigsten Exemplare landen in unseren Einkaufskörben. Doch selbst sie schaffen es nicht ausnahmslos in unsere Bäuche: Ungefähr jedes vierte Lebensmittel, das wir kaufen, nach Hause schleppen und im (Kühl-)Schrank verstauen, landet früher oder später doch im Müll. Jede/r Deutsche wirft jährlich circa 82 Kilogramm weg – das sind in etwa zwei gut gefüllte Einkaufswagen-Ladungen, ein Warenwert von knapp 240 Euro.
„Es sind nicht nur die Lebensmittel, die im Müll landen,“ erklärt Hanna, „oder das Geld, das wir umsonst ausgegeben haben: Auch wertvolle Ressourcen wie Ackerfläche und Wasser werden mit jedem weggeworfenen Nahrungsmittel verschwendet. Bei der Produktion werden außerdem Treibhausgase freigesetzt, die das Klima stark belasten.“ Aber warum kaufen wir überhaupt so viel, ohne es zu verwenden? Soziolo¬gen sagen: Es liegt daran, dass wir eine große Auswahl als Form von Freiheit ansehen – und die möchten wir auch im Kühlschrank haben. Ein weiteres Problem: unsere Gewohnheiten. Singles kaufen für die nächsten Tage ein, um etwas im Haus zu haben – und sind dann doch am Abend spontan unterwegs. Während die Bananen zu Hause bleiben und immer brauner werden. In Familien besorgen oft zwei Erwachsene das Essen und stimmen sich nicht immer ab. Mal ehrlich: Wem kommt das bekannt vor?
Bis auf den letzten Krümel
Heute ist der Verein mit gut 40 Kilo geretteten Lebensmitteln angerückt. Darunter eine prall gefüllte Kiste Brot. Das wird von Hanna eingeweicht und mit geraspeltem Gemüse zu Brotletten verarbeitet, der klimafreundlichen Alternative zur Berliner Boulette. Die Ersten brutzeln bereits auf der Kochplatte eines weiteren Fahrrads und verströmen einen würzigen Duft. Dazu werden Pestos, Aufstriche und Gemüsespieße auf kleinen Schieferplatten gereicht. Lecker!
Kein Wunder, dass am Stand mittlerweile immer mehr Menschen stehen bleiben – gucken, kosten, quatschen und selber in die Pedale treten. Auch Kinder. Hanna freut das: „Man kann nicht früh genug lernen, wie wichtig ein nachhaltiger Umgang mit Lebensmitteln ist!
Deshalb haben wir zwei verschiedene Bildungsprojekte für Kinder entwickelt: Grundschüler*innen erleben im School Lunch Workshop, wie wertvoll unsere Nahrung ist. Und mit dem Projekt „Bis auf den letzten Krümel“ können schon Vorschulkinder für Lebensmittelverschwendung sensibilisiert werden.“
Dass dabei auch die Eltern ihr Wissen rund um Nachhaltigkeit und klimafreundliche Ernährung ein wenig auffrischen – um so besser! Denn bereits kleine Veränderungen haben einen enormen Effekt auf unsere persönliche CO2-Bilanz.

Kleine Veränderungen, große Wirkung
Pflanzliche Produkte beispielsweise sind besser fürs Klima als tierische. Idealerweise möglichst unverarbeitet. Und wer beim Einkauf zu regionalen Produkten greift – also zu Hirse statt zu Quinoa, kann ebenfalls viel bewirken. Die Transportwege sind kurz, das spart eine Menge CO2. Auch Saisonalität spielt eine wichtige Rolle: durch den Wegfall von Lagerung und Beheizung wird viel weniger CO2 erzeugt und Wasser verbraucht.
Außerdem können wir lernen, unseren Sinnen wieder mehr zu vertrauen; und Produkte nicht direkt nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) zu entsorgen. Stattdessen: erst einmal gucken, riechen, probieren. Joghurt beispielsweise kann gut gekühlt noch bis zu mehrere Wochen nach Ablauf des MHD verzehrt werden. Nudeln oder Reis sogar mehrere Jahre.
Durch eine abfallreduzierte Zubereitung und Verwertung – vom Blatt bis zur Wurzel – kann zusätzlich eine ganze Menge Lebensmittelabfall eingespart werden. „Wer beim Kochen kreativ ist und um die Ecke denkt, kann eine kostenlose Extraportion herausholen“ schwärmt Hanna, während sie Grillgemüse auf kleine Holzspieße piekst und routiniert die Brotletten wendet. „Noch besser ist es, wenn man dabei Klima-Killer durch klimafreundliche Alternativen austauscht – zum Beispiel Avocado durch Rote Bete. Sie kommt aus der Region, ist klimaverträglich, enthält viel Vitamin C.“
Und färbt ganz nebenbei jedes Gericht knallig-pink – das Auge isst schließlich mit. Die Kids am Stand sind schwer begeistert von den bunten Klöpschen und verputzen bereits die zweite Portion. Mit einem neuen Rezept in der Hosentasche und tausend guten Vorsätzen im Herzen marschieren sie am späten Nachmittag nach Hause. Sie machen es vor: Essen-Retten ist kinderleicht!
Wer beim kreativen Kochen Unterstützung benötigt, findet online leckere Retter-Rezepte: www.restlos-gluecklich.berlin
Du schwingst am liebsten den Kochlöffel in Gesellschaft? Dann mach mit bei der RESTLOS GLÜCKLICH Online Kitchen. Die nächsten Workshops finden am 06. November und am 3. Dezember statt (Thema: Lokale Helden bzw. Klimafreundliches Weihnachtsessen). Am besten frühzeitig anmelden unter restlos-gluecklich.berlin
Hannas RETTER-TIPPS
So werfen wir weniger weg
- Kühlschrank leer? Einkaufslisten minimieren Impulskäufe
- Wenn oft Reste verderben: Kleinere Verpackungsgrößen wählen
- Lebensmittel richtig lagern – so bleiben sie länger frisch
- Lebensmittel möglichst komplett verwerten – vom Blatt bis zur Wurzel
- Essensreste weiterverarbeiten – z. B. altes Brot zu Croutons, Obst zu Marmelade oder Smoothies
- Obstreste portionsweise als Püree einfrieren – perfekt für einen schnellen Smoothie
- Nicht zu sehr ans Mindeshaltbarkeitsdatum klammern, sondern ruhig den eigenen Sinnen vertrauen. Riecht es gut, sieht es gut aus, ist es auch gut. Wirklich ernst nehmen sollte man das Verbrauchsdatum
- Verschenken statt wegschmeißen! Vor dem Urlaub bei den Nachbarn klingeln oder Verteil-Plattformen nutzen
- Reste-Box ins Restaurant mitnehmen
- Fermentiertes Gemüse hält sich lange, schmeckt lecker und ist gesund. Es braucht etwas Übung, lohnt sich aber
- Welke Salatköpfe in Zuckerwasser oder in kaltes Wasser mit einer Kartoffelscheibe legen, bis sie wieder knackig sind