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Interview mit Koch und Autor Magnus Nilsson

In seinem Restaurant Fäviken im schwedischen Hinterland verzückt Magnus Nilsson Gäste aus aller Welt mit einem hoch ambitionierten, aber bewusst ursprünglichen Kochstil. Sein erstes Buch Nordic ist ein Versuch, die komplette Bandbreite der nordischen Küche abzubilden. Zum Release der deutschsprachigen Ausgabe redeten wir mit ihm unter anderem über den Entstehungsprozess des Buches und die Wichtigkeit von historischem Kontext in der Küche.
Star der skandinavischen Gastronomieszene: Magnus Nilsson
Star der skandinavischen Gastronomieszene: Magnus Nilsson
© Erik Olsson

e&t.de: Woher kommt die internationale Begeisterung für die nordische Küche und warum gerade jetzt?

Nilsson: Betrachtet man den gastronomischen Markt in "coolen" Ländern, zum Beispiel in Städten wie New York oder London, sieht man eine Restaurantszene auf höchstem Niveau, die auf ein internationales Publikum zielt. Deutschland ist bereits in sich ein so großer und starker Markt, dass die meisten Top-Restaurants vorwiegend auf deutsche Gäste setzen. Schweden und Dänemark waren in der gleichen Situation. Nicht, dass der Markt so groß wäre, aber die Länder sind sehr teuer und setzen den Fokus nicht auf Tourismus. Über die Jahre ist eine sehr gute Restaurantszene entstanden, die aber vor allem der heimischen Gemeinschaft vorbehalten blieb. Als dann das Noma (Kopenhagener Restaurant, das mehrmals die "50 Best Restaurants"-Liste anführte, Anm. d. Red.) seinen Durchbruch hatte, rückte die skandinavische Küche ins Rampenlicht. Journalisten entdeckten, dass die Basis dieser Küche bereits weit verbreitet war und konnten nicht fassen, dass niemand davon wusste. Die Aufmerksamkeit trug auch zur weiteren positiven Entwicklung bei. Viele sehen es als eine Art Revolution, aber ich denke, es ist über die Zeit gewachsen und wurde erst an einem sehr fortgeschrittenen Punkt entdeckt. Außerdem glaube ich, dass sich Deutschland in derselben Situation befindet - es gibt großartige Restaurants, die außerhalb Deutschlands kaum jemand kennt.

e&t.de: Für Ihr Buch recherchierten Sie vor Ort in mehreren Ländern. Welches Land hielt die größten Überraschungen bereit?

Nilsson: Finnland! Ich glaube, es hängt zum Teil mit der Sprache zusammen, aber auch damit, dass Finnland zwar ein nordisches Land, aber kein Teil Skandinaviens ist. Durch die Sprachbarriere ergab sich nie ein ungebrochener Kommunikationsfluss. Finnland ist schon aus geographischer Sicht sehr abwechslungsreich. Dazu kommt eine einzigartige Esskultur, in der auch russische und baltische Einflüsse zu finden sind. Die Finnen schätzen ihre Esskultur hoch, es ist ihnen wichtig, sie zu bewahren. In Dänemark und Schweden ging in den Fünfziger-, Sechziger und Siebzigerjahren viel verloren. Meine Großmutter etwa war eine fantastische Köchin, die auf einer Farm lebte. Trotzdem hielt sie es für netter und luxuriöser, uns fertig gekaufte, industriell gefertigte Brötchen zu geben statt ihre selbstgebackenen. Das passiert automatisch in Ländern, in denen die industrielle Revolution schnell Fuß gefasst hat. Vielleicht ging es in Finnland ein bisschen langsamer vonstatten. Irgendwie hatte ich das auch erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß.

Standardwerk zur nordischen Küche: Nordic von Magnus Nilsson
Standardwerk zur nordischen Küche: Nordic von Magnus Nilsson
© Edel/Phaidon

e&t.de: Sie kritisieren, dass viele skandinavische Kochbücher keinen historisch-geografischen Kontext zu den Rezepten liefern. Ist Kontext immer nötig zum Entdecken "neuer" Geschmäcker?

Nilsson: Wenn man etwas kreiert, ist es hilfreich, das "warum" zu verstehen. Wir haben heute einen neuen Blick auf das Kochen und fühlen uns, als hätten wir die Kontrolle darüber, was wir essen. In Wirklichkeit essen wir aber, was Sinn ergibt - und was Sinn ergibt bestimmen die Umstände, in denen wir heute leben. Ein Teil unserer Esskultur hat seine Wurzeln in der Vergangenheit und macht aus heutiger Sicht keinen Sinn mehr. Mir ist wichtig, dass die Leute erfahren, welcher Gedanke hinter der Entstehung eines Gerichts steht. Für die Arbeit am Buch habe ich mir viele alte Kochbücher besorgt. Noch bis in die Sechzigerjahre bestanden viele Rezepte in den schwedischen, dänischen und norwegischen Kochbibeln fast nur aus einer Zutatenliste. Die Menschen wussten, was sie zu tun hatten. Über die Jahrzehnte entstand eine Notwendigkeit, längere Rezepte zu drucken. Inzwischen sind wir an einem Punkt, an dem wir das Kochen nicht nur Schritt-für-Schritt erklären müssen, sondern auch noch die Gründe für jeden Schritt, weil es sonst nicht mehr verständlich ist.

e&t.de: Benutzen Sie den Kontext und die Geschichte traditioneller Gerichte, wenn Sie neue Gerichte für Ihr Restaurant Fäviken entwickeln?

Nilsson: Ja, aber nicht auf eine bestimmte Art und Weise. Fäviken ist vor allem eine Kombination von allem, was ich bisher erlebt habe. Es passiert nicht immer absichtlich, aber es gibt immer eine Basis. Kreativität entsteht nicht einfach so, sie hat immer einen Ursprung.

Setzt den Fokus auf den geographisch-historischen Kontext der Speisen: Magnus Nilsson
Setzt den Fokus auf den geographisch-historischen Kontext der Speisen: Magnus Nilsson
© Erik Olsson

e&t.de: Viele Gerichte enthalten "konservierte" Aromen, zum Beispiel von geräucherten oder fermentierten Produkten. Welche Techniken sollte man sich für zuhause aneignen und was überlässt man besser den Profis?

Nilsson: Ich denke, das Einmachen sollte man definitiv zuhause erledigen, da es einfach ist, in der Regel gut schmeckt und gut gelagert werden kann. Eigentlich kann man alles zuhause machen, auch das Reifen von Fleisch und so weiter, aber warum sollte man das tun? Du wirst kein besseres Resultat als der Metzger erzielen. Wir stellen uns diese Frage oft im Fäviken. Viele Leute denken, dass wir wirklich alles selbst machen. Wenn wir zum Beispiel ein Gericht zum Thema Käse entwickeln, machen wir ihn zunächst selbst und versuchen, alles darüber zu lernen und das Lebensmittel zu verstehen. Wenn wir das wissen, suchen wir uns eine Person, die einen Käse exakt nach unserer Vorstellung herstellen kann und widmen uns einem anderen Projekt. Man sollte sich immer die Frage stellen "Warum mache ich das?". Warum reife ich meinen Schinken selbst, wenn ein Metzger es doppelt so gut kann?

e&t.de: Viele Rezepte und Techniken scheinen heute fremd - glauben Sie, dass Esskultur auch verloren gehen kann, wenn sie nicht gepflegt wird?

Nilsson: Ja, und es ist eine Schande. Das gilt aber für jede Art von Wissen. Wir haben heute den Eindruck, dass wir das Wissen, das wir aktuell benutzen für immer brauchen. In Wirklichkeit wissen wir aber nicht, welches Wissen wir in 10, 15 oder 50 Jahren brauchen werden. Esskultur ist ebenfalls sehr unmittelbar - alte Gerichte gehen verloren, weil sie keinen Sinn mehr ergeben. Es ist eine komplexe Frage, denn man kann niemanden zu einer Art Essen zwingen, die keinen Sinn ergibt, das funktioniert nicht. Es entsteht eine Situation wie in einem Museum. Wir können Esskultur nur dokumentieren. Die unmittelbare Erinnerung an ein Gericht verschwindet schon von einer Generation zur nächsten, doch die Idee eines bestimmten Gerichts lässt sich durchaus nachbilden.

e&t.de: Glauben Sie, dass es möglich ist, dieses Bewusstsein weiter zu verbreiten?

Nilsson: Es muss bei solchen Projekten immer jemanden geben, der die Mittel dafür besorgt und es dann mit Leidenschaft angeht. Das Buch ist ein kleiner Schritt, aber es könnte noch viel mehr geben. Es ist auch keine abgeschlossene Publikation - es wird sich über die Jahre verändern und immer wieder erweitert werden.

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