essen-und-trinken.de: Herr Keller, wie war das Weinjahr 2010 und wie werden die Ergebnisse aussehen?

Klaus Peter Keller: Die Ergebnisse werden mengenmäßig sehr gering sein. In unserem Weingut ist dies die kleinste Ernte seit 30 Jahren. Qualitativ wird sich, nach meiner Meinung, der Jahrgang sehr gut entwickeln. Wir gehen davon aus, dass es ein Jahrgang wird, der stilistisch an die von mir sehr geschätzten Jahrgänge 2002, 2004 anknüpfen könnte. Das bedeutet Weine mit einer markanten Säure, die aber durch guten Extrakt und eine schöne Substanz gepuffert werden. Insgesamt wird es für Deutschland ein Jahrgang, in dem die Schere sehr weit aufgehen wird. Die Winzer, die lange mit der Ernte gewartet haben, werden gute Ergebnisse erzielen. Wer früh geerntet und vielleicht auf Menge spekuliert hat, wird qualitativ wahrscheinlich eher ein durchschnittliches Ergebnis im Keller liegen haben.
Wurde das Weinjahr stark von den Wetterextremen geprägt?
Es war schon ein Extremjahr mit einer relativ verrieselten Blüte, kühlem Mai, dann extrem warmem Juni und Juli, wieder relativ kühlem August, aber dann mit einem schönen Altweibersommer. Wetterextreme haben das Jahr geprägt, aber wie gesagt, wer die Geduld hatte und es sich leisten konnte, die Trauben hängen zu lassen, der wird glücklich sein mit dem, was er im Keller hat.
Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Ihre Arbeit? Und was erwarten Sie, wie sich das in Zukunft im Weinbau entwickeln wird?

Es weiß im Moment selbst von den renommierten Wissenschaftlern noch keiner wirklich genau, wohin die Reise geht. Das sehen wir auch am Beispiel des Klimas in Jahren wie 2010 oder 2008. Wir waren es ja gar nicht mehr gewöhnt, um Reife wirklich kämpfen zu müssen, denn bisher hat jedes Szenario vorausgesagt, dass es wärmer und wärmer wird.
Wir haben uns insofern auf den Klimawandel eingestellt, als wir bei einigen Anlagen die Laubwandhöhe verringert haben. Früher hieß es, man braucht sieben, acht, neun Blatt pro Träubchen, um es perfekt reif zu kriegen. Heute geht man davon aus, dass vielleicht fünf oder sechs Blatt pro Traube für die optimale Photosynthese perfekt sind. Zu viele Blätter würden die Zuckerbildung beschleunigen und könnten schnell zu alkohollastigen Weinen führen. Heute glauben wir, dass weniger Blätter ausreichen, um die Traube perfekt reif zu bekommen. Das ist schon eine Anpassung, die wir jetzt im Weinberg vornehmen. Aber insgesamt ist die Entwicklung einfach nicht absehbar. Man muss jedes Jahr neu auf die Einzelfaktoren reagieren. Vor drei Jahren haben wir einen Weinberg in Norwegen angepflanzt. Das ist mit Sicherheit ein Projekt, das, wenn es Erfolg haben sollte, noch viel mehr Sonnenstunden braucht, als Norwegen jetzt hat.
Arbeiten Sie bei diesem Projekt in Norwegen mit Wissenschaftlern zusammen?
Da sind wir in engem Austausch mit Wissenschaftlern. Interessant ist in Norwegen bis jetzt, dass Riesling dort nur im Glashaus gedeiht, obwohl wir wirklich am steilen Südhang in Kristiansand an der Südküste Norwegens in absoluter Meeresnähe arbeiten. Aber selbst da haben wir noch nicht annähernd die Reife erzielt, die wir für einen guten Riesling bräuchten.
Norwegen ist also noch nicht das perfekte Weinland?
Das ist ein Projekt für die Zukunft. Vielleicht können unsere Kinder davon profitieren. Das wären dann die ersten, die einen alten Rieslingbestand in Norwegen wirklich zur Reife bringen könnten.
Gibt es spezielle klimatische Voraussetzungen in Rheinhessen, die die Region ausmachen?

Ich denke, insgesamt ist unsere Region ein großer Klimaprofiteur. Wenn wir zurück schauen ins 19. Jahrhundert, hat sich Johann Philipp Bronner sehr verdient gemacht, indem er die Geschichte der Weine sehr detailliert skizziert hat. Er ging von Ortschaft zu Ortschaft und hat einfach geschaut, was für Reben hier wachsen, auf welchen Böden sie wachsen und wie es klimatisch aussieht. Und bei ihm fällt wirklich auf, dass er über Rheinhessen sehr oft geschrieben hat: Hier könnte großer Wein wachsen, so denn die Trauben regelmäßig ausreiften. Das hat er zum Beispiel bei der Lage Dalsheimer Hubacker geschrieben oder auch über den Westhofener Morstein. Da sieht man, dass unsere Region schon immer vom Boden her großes Potenzial hatte, aber gerade im Hügelland die Durchschnittstemperaturen zu gering waren. An der Rheinfront sah das ein bisschen anders aus. Die haben immer auch schon in kühlen Jahren von der unmittelbaren Rheinnähe und der Steilheit der Hänge profitiert. Das Hügelland hat hingegen die spannenden Kalkböden, aber war von den Temperaturen her früher ein bisschen benachteiligt. Und jetzt ist es so, dass in warmen Jahrgängen mitunter die Rheinlagen zu kämpfen haben und wir im Hügelland die optimale Wasserversorgung und die optimalen Reifebedingungen haben.
Hat das gestiegene Niveau der rheinhessischen Weine auch mit der verbesserten Ausbildung der Winzer zu tun?
Ja, da gibt’s viele Einflussfaktoren. Früher hat man das Weingut eher übernommen, weil es eben so üblich war und weil der Vater und Großvater das schon gemacht haben. Wer heute ein Weingut übernimmt, ist in der Regel sehr viel besser ausgebildet, als es noch unsere Eltern oder Großeltern waren, hat im Ausland hospitiert oder praktiziert und hat da die unterschiedlichsten Einflüsse oder Arten wie man Wein machen kann und wie Wein in verschiedenen Klimazonen gemacht wird, miterlebt. Von diesen Erfahrungen profitiert Rheinhessen natürlich auch extrem.
Haben Sie selbst auch in anderen Klimazonen gearbeitet?
Ich habe in Frankreich, in meiner Lieblingsregion Burgund, und in Südafrika gelernt.
Sie haben die Tradition angesprochen: Der Weinanbau Ihrer Familie geht bis auf das Jahr 1789 zurück. Was für eine Rolle spielt diese Tradition für das Weingut Keller? Fühlen Sie sich der Tradition verpflichtet?

Ja natürlich, Tradition ist etwas ganz Wichtiges! Meine Frau und ich sind die neunte Keller-Generation, unsere Kinder die zehnte und aus der Tradition heraus will man seinen Nachfahren ein möglichst gut bereitetes Feld überlassen. Das heißt Böden, die wirklich super-intakt sind und Pflanzen, die gesund sind. Gleichzeitig wollen wir auch weiter unseren Input in punkto Qualität und Reputation geben, um das Weingut weiter auszubauen und imagemäßig gut dazustehen.
Zieht sich denn so etwas wie ein roter Faden durch diese Jahrhunderte der Keller-Weintradition?

Schon Johann Leonhard Keller, der das Weingut gegründet hat, wusste genau um die Güte der Lagen hier im rheinhessischen Hügelland, sonst hätte er nicht im Jahr 1789 den Dalsheimer Hubacker vom Andreasstift in Worms erworben. Das ist die Keimzelle unseres Weinguts und heute auch noch unser allerwichtigster Weinberg. Insofern sieht man schon, dass sich ein roter Faden durch die Generationen zieht und darauf sind wir auch stolz und dem fühlen wir uns verpflichtet.
Vertraute Johann Leonhard Keller 1789 auch schon ein Stück weit auf seine Intuition?
Man kann auch sagen, es war Glück, aber er muss schon daran geglaubt haben, dass das ein besonders gutes Stückchen Land ist. Die Kirchen, die Klöster hatten damals immer die besten Stücke, das war bekannt. Und der Hubacker war in kirchlichem Besitz: Also hat man damals wahrscheinlich schon gewusst, dass es einfach ein ganz besonderes Stück Land ist.
Was ist typisch an den rheinhessischen Böden und wie äußert sich das im Wein?
Wir haben eine relativ große Bandbreite an unterschiedlichen Bodentypen in Rheinhessen. Was ich besonders spannend finde, sind natürlich die Kalksteinböden, die wir hier im rheinhessischen Hügelland haben. Das ergibt Weine, die unglaublich energiegeladen sind, die präzise sind, einen messerscharfen Fokus haben. Das sind Weine, die wirklich auf der Zunge vibrieren und unheimlich Trinkfreude bereiten. Im nördlichen Rheinhessen, um Siefersheim und Wöllstein, herrschen vulkanische Böden vor, die dem Wein eine tolle Rasse und einen sehr edlen Ausdruck verleihen. Die dritte Bodenart, die mir persönlich sehr gut gefällt, sind die roten Tonschieferböden am Roten Hang um Nierstein. Das sind Weine, die eine seidige Mineralität haben, eine noble Eleganz, eine cremige Textur. Also letztlich drei sehr unterschiedliche Bodenarten, aber jede für sich ist einzigartig und toll.
Von Ihren Weinen ist der G-Max besonders bekannt. Von welchem Boden stammt dieser trockene Riesling?
Der G-Max wächst auf einem ganz gesegneten Fleckchen Erde, das einen extrem energiegeladenen Kalksteinboden besitzt.
Und was macht den G-Max geschmacklich aus?
Man muss ihn probiert haben, um ihn wirklich zu verstehen, denn er besitzt eine unheimlich puristische, filigrane Mineralität. Es ist ein sehr purer, komplexer, energiegeladener Wein, der trotz aller Konzentration und Dichte nicht schwer wirkt. Er tänzelt wie eine Primaballerina über die Zunge, hat aber dann einen Nachhall, der minutenlang nachklingt. Das ist das eigentlich Tolle an dem Wein.
Sie produzieren auch tolle Süßweine. Was macht einen guten Süßwein aus?

Er erfordert strikte Selektion im Weinberg mit der Pinzette. Es kann sehr aufwendig werden, einen tollen Süßwein zu erzeugen, da man mitunter froh sein kann, wenn ein Mitarbeiter die Menge Rosinen für eine Flasche Wein am Tag sammelt. Ein wirklich großartiger Süßwein wirkt nie sättigend, sondern belebend – ein Schluck macht Lust auf den nächsten.
Was für eine Rolle spielen neben dem Klima und den Böden die Rebstöcke, vor allem das Alter der Rebstöcke?

Das ist schwierig zu definieren! Man hat einfach das Gefühl, wenn ein Wein von alten Reben kommt, hat er nochmals eine Extra-Dimension: höhere Vielschichtigkeit, intensivere Mineralität und er erinnert mich sensorisch an Tabak. Man kann das analytisch aber nicht feststellen, wenn sie einen Wein aus jungen Reben mit alten Reben vergleichen. Allein anhand der Labordaten und der Analyse wird ihnen nichts auffallen, aber geschmacklich sind es für mich zwei Welten. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich in Frankreich, im Burgund, ausgebildet wurde und da wurde extrem viel wert auf Wein aus alten Reben gelegt. Alte Reben erbringen allein schon über die niedrigen Erträge eine extra geschmackliche Dimension.
Wie alt sind denn die ältesten Reben im Weingut Keller?
Die ältesten Reben sind um die 75 Jahre. Sie stehen in verschiedenen Lagen und die Rebsorten sind Silvaner und Riesling.
Im Fachjargon wird oft von Terroir gesprochen. Was genau bedeutet dieser Begriff?
Beim Begriff Terroir denken die meisten Menschen nur an Boden. Für mich aber ist Terroir ganz klar das Zusammenspiel aus Mensch, Klima und Boden. Ohne den begeisterten Winzer auf einem guten Fleckchen Erde wird nie ein gescheiter Wein entstehen und das ist vielleicht im Endeffekt auch ein wichtiger Ansatz, wenn es um die Terroirdiskussion geht. Ohne den Winzer ist das beste Fleckchen Erde nichts wert.
Wie kann ein Laie einen qualitativ hochwertigen Wein erkennen?
Das ist schwierig. Es ist am besten, wenn man jemanden hat, dem man vertrauen kann, der einen einführt in das Thema. Am Preis kann man Qualität nicht erkennen: Es gibt teure Weine, die wirklich enttäuschen und preiswerte, die wirklich begeistern. Es gibt da kein Patentrezept. Das größte Glück ist, wenn man jemanden gefunden hat, der einen an der Hand nimmt und sagt: Probier einfach mal mit mir die Weine und sag offen, was Dir schmeckt und was Dir nicht schmeckt. Ein wichtiger Rat ist, sich nicht abschrecken zu lassen von der Weinfachsprache, von Weingurus oder manchmal auch falschen Göttern, sondern einfach seinem eigenen Geschmack zu vertrauen und für sich selbst zu entscheiden, was gut und was nicht gut ist. So kann man Qualität auch lernen.
Auf Ihrer Homepage steht, dass der Westhofener Morstein das Große Gewächs von 2009 ein Wein sei, den man entweder liebt oder hasst. Macht genau dieses Polarisierende Ihre eigenen Weine aus oder verfolgen Sie noch andere Ziele mit Ihren Weinen?

Gerade die Morstein Lage ist aufgrund ihrer extrem präzisen, mineralischen Art eine Lage, die die Geschmäcker immer spalten wird. Die einen jubeln, die anderen können mit dieser unheimlich puristischen, präzisen Art nichts anfangen. Aber das ist im Endeffekt das größte Kompliment für uns, denn wir haben sechs Grand Cru–Lagen (Große Gewächse) und jeder Wein schmeckt komplett anders. Den Boden ins Glas zu bringen ist für uns die größte Aufgabe und das größte Ziel. Bei unseren Weinen soll man die Lage schmecken. Bei so einem Wein wie dem Morstein schmeckt man das sehr extrem und deshalb gefällt er mir auch so gut.
Die Unverwechselbarkeit macht diesen Wein also aus?
Ja absolut, darum geht es: den Fingerabdruck auf die Lage zu bringen. Das Unverwechselbare ist unser Ziel.
Was für eine Rolle spielen Organisationen wie der VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter e.V.) oder Message in a bottle e.V.?
Gerade Message in a bottle hat unheimlich für einen Imagezuwachs in Rheinhessen gesorgt, weil jetzt einfach eine junge, dynamische Bewegung da ist. Winzer, die sich untereinander austauschen, die sich nichts neiden, die sich auch einmal beraten, wenn etwas problematisch ist. Es sind Ansprechpartner da, die die Region weiterbringen und das Ganze im Hinterkopf haben und nicht nur die eigenen Vorteile. Das ist die Philosophie von Message in a bottle. Der VDP ist insofern wichtig, als er ein Imageträger für die Region ist, es sind die alteingesessenen Weingüter, die dort Mitglied sind. Im Endeffekt ist es für jeden Message in a bottle Winzer ein Ziel, langfristig in den VDP zu kommen, weil das in Rheinhessen der Verein ist, in dem die besten Weingüter zusammengeschlossen sind. Der VDP strahlt über die Rheinhessen-Grenzen ins Ausland und ist insofern auch für das Image in Rheinhessen sehr wichtig.
Was glauben Sie, was erwartet Rheinhessen und die Weine Rheinhessens in der Zukunft, insbesondere auch international?
Ich denke, um wieder aufs Klima zurückzukommen, dass wir im Moment große Klimaprofiteure sind. Das heißt, wir können die Stärke, die in unseren Böden steckt, so richtig ausspielen. International gesehen schießt die Nachfrage gerade in die Höhe. Wir stehen da vor einer großen Renaissance und wenn wir weiter hart arbeiten und ein bisschen Glück haben, kommen wir wieder dahin, wo der deutsche Wein schon einmal vor über hundert Jahren war. Das heißt, qualitativ betrachtet Kopf an Kopf mit den größten Bordeaux und Burgundern.
Herr Keller, Sie stehen bis jetzt in Rheinhessen unangefochten an der Spitze. Erwarten Sie, dass da noch einiges nachkommen wird an jüngeren Spitzen-Winzern?
Natürlich, die Entwicklung ist jetzt in Rheinhessen schon eine, die auf starken Beinen steht. Die Talente sprießen bei uns wie die Spargelspitzen im Moment. Wir haben jede Menge wirklich hoch motivierter, gut ausgebildeter junger Winzer, die auf sehr interessanten Böden anfangen Weinbau zu betreiben oder die Betriebe der Eltern übernommen haben. Da wird in den nächsten Jahren bestimmt auch in der Breite eine sehr gute Entwicklung zu sehen sein.
Herr Keller, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Klaus Peter Keller

Der 37-jährige Klaus Peter Keller führt seit 2002 das Weingut Keller im rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim. Seit 1789 ist das Weingut in Familienbesitz und verfügt über 15 Hektar Weinberge. Der Diplom-Oenologe und Familienvater kann schon zahlreiche Auszeichnungen vorweisen. Derzeit ist das Weingut Keller das einzige rheinhessische Weingut mit der Höchstnote von fünf Trauben im Gault Millau WeinGuide Deutschland. Keller ist vor allem für seine trockenen Rieslinge bekannt: So zeichnete der US-Weinkritiker Robert Parker den G-Max 2008 mit 96 Punkten aus und das Westhofener Abtserde "Großes Gewächs" wurde vom Gault Millau zum besten trockenen Riesling 2009 gewählt.